Die Vorbereitung eines Vortrages am HSP-Kongress wird auch zur Schau über mein Tun und Wirken als Arzt:
- Was mach ich da als Arzt, tagtäglich. Ist das sinnvoll, nachhaltig?
- Was soll Medizin leisten, wie dient sie dem einzelnen und dem Ganzen?
- Welche Kompetenzen brauch ich denn, um den Menschen gerecht zu werden, die mich da aufsuchen?
Die Arbeit der letzten 30 Jahre mit den Patienten, v.a. den hochsensitiven Menschen macht klar, dass diese nicht wirklich eine andere Medizin brauchen. Sie fordern und brauchen aber eine Medizin, die eine echte Wissenschaftlichkeit zeigt, die die Mehrschichtigkeit des HUMANEN abbildet und auch eine Beziehungskunst ist.
Die 3 Kompetenzen, die ich in keiner Stunde meiner Ausbildung zu hören bekommen habe, die aber brauche, um die Beschwerden von Hochsensitiven Menschen, von chronisch erkrankten und von Menschen in Krisen zu verstehen und zu fassen, sind:
- Dialog-Fähigkeit
Was Ed Schein nach 50 Jahren Forschung am MIT als essentiellste Fähigkeit eines CEO in der Wirtschaft postuliert, ist «humble inquiry» – «demütiges Hinhören». Wie kann ich eine integrierte Diagnose, geschweige denn eine nachhaltige Gesundheitsplanung entwerfen, wenn ich von Beginn weg meinem Gegenüber gar nicht zuhöre? Die Eigensprache des Menschen erahnen, seine Prozesslogik – nicht meine – heraushören.
In wirklichen Dialog treten.
- Komplexität erkennen, um nachhaltig zu therapieren
Der Mensch ist nicht kompliziert, aber wie jedes lebendige System KOMPLEX. Offen nach aussen und innen, ist jeder Mensch ein fortwährend wachsendes lernendes mehrdimensionales System, welches fortwährend Balance und Gesundsein sucht.
Die Medizin und Psychiatrie machen mit ihren Diagnosen zuweilen bedenkliche, ja gefährliche Vereinfachungen, die nicht geeignet sind, die Mehrschichtigkeit und Historie eines Leidens abzubilden. Wie oft erlebe ich Patienten nach jahrelangen Odysseen – des sich nicht verstanden und in den gestellten Diagnosen entstellt fühlen. Eine solche Medizin wertet und entwertet, ist zuweilen darin fast traumatisierend, obschon sie einen heilenden Auftrag hätte.
Vereinfachung und essentielle Schau ist nicht dasselbe.
- Prozesslogik
Krankheit entsteht, wenn das komplexe biologisch-psychisch-geistig-spirituelle System eines Menschen aus der Balance gerät. So hat jedes Kopfweh seine eigene Entstehungsgeschichte, jedes Reizdarm-Syndrom seine Eskalationslogik.
Diese muss ich nachvollziehen können, wenn ich mit dem Patienten «seine» Gesundungslogik und sein Gesundungsprozess entwickeln möchte. Das muss wie bei der Diagnostik ein kooperativer Prozess sein, ein gemeinsames Forschen. Der Erfolg ist das Lernen voneinander, und nicht das kurzfristige Verschwinden von Symptomen.
Growth and Health through sharing!
Kann man das Wesen der Biene verstehen, indem ich ein Individuum betrachte und seziere? Das Wesen der Biene ist nur in ihrem ZUSAMMEN in ihrem Volk zu verstehen, und in ihrem Einfluss auf die Umwelt.
Hut ab vor engagierten Ärztinnen wie Maya Cosentino, die den Menschen genauso verstehen will in seinen komplexen inneren Verhältnissen, aber auch in seiner Interaktion in seiner Umwelt.
Wow vor Menschen wie Frederike Asael, die mir ähnlichem Feingespür Menschen im Impact-Hub begrüsst und vor allem auch Frauen ermutigt, diese oben beschriebenen Faktoren in Wirtschaft und Gesellschaft einzubringen.
Applaus für junge Forscherinnen wie Xenia Hupp, die mit ihrer Abschlussarbeit über Feinfühligkeit als Führungskompetenz Türen für andere Kompetenzen öffnen will.
Solche Menschen nehmen kultivierende und orientierungs-stiftende Aufgaben in Pädagogik, Therapeutik, Wirtschaft und Politik ein als weise Berater und Macher.
Gesundheit als kollektive Aufgabe, das hat doch Zukunft.